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Interview mit Karl aus der FAZ, 2013

(c) by FAZ

von DENISE PEIKERT, 06.Januar 2013

Das Mikrofongrübchen und der Punkt auf dem „i“

 

Das Wichtigste an dem Wort Fastnacht ist das „e“. Sicher, es kommt nur in der hessischen Version vor, in „Fassenacht“, aber wenn es da vergessen wird, dann ist der Rhythmus hin. Und wenn der Rhythmus einmal hin ist, dann trifft es bald den nächsten Reim, den ganzen Vers, die gesamte Rede. Deshalb ist Karl Oertl jetzt sauer, weil Ilse schon die dritte ist, die das „e“ vergisst. Wie es richtig heißt, das steht sogar auf dem Zettel, den Ilse und die anderen in den Händen halten: An Fassenacht, da gehts hoch her. „Und das e ist net nur zum Spaß da“, donnert Oertl jetzt los, herunter von dem Tisch, auf dem er sitzt und die Beine baumeln lässt. Der kleine Raum kapituliert vor seiner großen Stimme. Jedem „e“, das jetzt nicht hervorgekrochen kommt, dem gnade König Karneval.

Es ist Dienstagabend, im Nordwestzentrum hat nur noch McDonalds geöffnet, und das, was in dem Raum im ersten Stock des Titusforum geschieht, das ist wirklich kein Spaß. Dabei geht es um die Fastnacht, einer Zeit im Tusch, in der eigentlich alles ein großer Spaß sein sollte. Aber hier, in der von Karl Oertl geleiteten Rednerschule, in der Büttenredner und Sitzungspräsidenten auf ihre Auftritte vorbereitet werden, wird die Fröhlichkeit der Fastnacht so lange hin und her geschaufelt, bis darunter die viele Arbeit blank liegt, mit der sie inszeniert wird.

 

Die Reihenfolge musst beachtet werden

Wäre eine Fastnachtsitzung „Wetten, dass…?, dann wäre der Büttenredner, sagen wir, Tom Hanks. Er kommt, macht seine Witzchen, geht wieder und vielleicht meckert er hinterher über die Show. Den Spott aushalten muss Moderator Markus Lanz, in der Fastnacht ist es der Sitzungspräsident. Einer wie Udo Leib, der das seit 13 Jahren bei den Gockolores 1984 in Hahnheim macht und so aussieht, als könne er vieles aushalten, wie er da so an der Rednerschulbank sitzt, vor sich eine Flasche Federweißen, die er vom heimischen Hang mitgebracht hat und hinter den Brillengläsern die munteren Augen, die immer auf der Suche sind nach dem nächsten Scherz. „Wir kommen hier alle als i hin und der Karl macht den Punkt drauf“, sagt Leib, für den die Rednerschule jedes Jahr eine notwendige Auffrischung ist für seinen Job in der Fastnacht.

Bei Karl Oertl wird er daran erinnert, an was er alles denken muss. An die Begrüßung des Bürgermeisters, des Ortsbeirats, des Landtagsabgeordneten, bitte in der nach politischem Gewicht richtigen Reihenfolge und so, dass das Publikum nicht ständig zwischen den Namen applaudiert, sonst dauert das alles zu lange. Die Frau des Bürgermeisters auf keinen Fall erwähnen, wenn nicht sicher ist, dass sie auch ganz bestimmt da ist. Und sie auf keinen Fall vergessen, wenn sie da ist. An die Reihenfolge des Programms, wann die Gardemädchen dran sind zum Beispiel, und ob die Kapelle zu ihrem Auftritt Einzugsmusik spielen soll und wenn ja, ob sie klingen soll, bis die Mädchen an oder auf der Bühne sind und falls nicht, was mit der Pause dazwischen passiert. Wann das Prinzenpaar kommt, wie jeder einzelne in dessen Gefolge heißt und aus welchem Verein er oder sie stammt.

 

An manchen Stellen holpert es ein bisschen

Das alles allein gestützt durch schon manches Mal nassgeschwitzte Karteikärtchen, einseitig beschrieben, für vier bis fünf Stunden, so lange kann eine Fastnachtssitzung schon einmal dauern.

Jetzt probt Leib einen selbst geschriebenen Prolog, den Auftakt zu jeder Sitzung. In Reimen, natürlich, an mancher Stelle holpert das ein bisschen. „Das ist doch ka Deutsch net“, kommentiert Oertl den Versuch und lässt sein Lachen aus der Kehle knacken. Er weiß wovon er redet.

 

100 Stunden für die Rede

Oertl war 22 Jahre lang Sitzungspräsident bei „Hessen lacht zur Fassenacht“, der Fernsehsitzung des Hessischen Rundfunks und hat, wie er sagt, dass Mikrofongrübchen erfunden. Das ist der Punkt zwischen Nase und Mund, auf den das Mikrofon bei einem Redner zeigen muss, in einem Winkel von 45 Grad, damit es beim Sprechen nicht fiept. So etwas bringt er seinen Schülern bei, und dass sie alle spinnen müssen. „Wir Sitzungspräsidenten müssen uns ja andauernd was ausdenken können, wenn was schief geht“, sagt er.

Am 11.11. beginnt die fünfte Jahreszeit, die Arbeit daran, dass sie gelingt, geht schon eine Woche eher los. Von September bis Dezember sitzen die Schüler von Karl Oertl an elf Dienstagabenden im Titusforum, immer von acht bis zehn Uhr, 120 Euro kostet der Kurs. Ilse Hammann, die eine tiefe, leicht heisere Stimme hat, ist zum dritten Mal in der Rednerschule. Sie sagt, sie spricht sich hier ein, bis es dann wirklich los geht. Hammann ist Protokollerin in ihrem Verein, den Offenbacher 03ern, das heißt, sie fasst auf der Fastnachtssitzung in einer gereimten Rede die Ereignisse des vergangenen Jahres zusammen. Das ist oft Satire, aber auch oft ernst, ernster jedenfalls, als die Büttenreden, die Hammann manchmal zu platt findet.

Neben dem Training in der Rednerschule, wo Hammann von Oertl für das fehlende e in Fastnacht gerügt, für ihre Fortschritte im Allgemeinen aber gelobt wird, sitzt sie etwa 100 Stunden an ihrer Rede. Im September fängt sie damit an, im Januar und Februar tritt sie mehrfach damit auf. Das ist schon viel Aufwand, findet sie. „Aber es ist so schwer, das Kulturgut Karneval aufrechtzuerhalten, dass es nicht schadet, ihn zu betreiben“, sagt sie und fächert mit dem Daumen die Seiten des gelben Reclam-Heftchens auf. „Willy Steputat Reimlexikon“ steht vorn auf dem Cover und sieht nach Arbeit aus.

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